Verkehrte Welt? - Die Lebensversicherer konnten 2013 ihre Beitragseinnahmen erneut um 4,0 Prozent kräftig auf 90,8 Milliarden Euro steigern. Damit nähert sich die Lebensversicherung immer mehr der 50 Prozent-Marke an den gesamten Einnahmen der Branche an. Diese eigentlich positive Botschaft wird überschattet durch Nachrichten, wonach das Bundesfinanzministerium ein Maßnahmenpaket zur Konsolidierung der Lebensversicherung vorbereitet, das unter Umständen noch im März über eine entsprechende Stichtagsregelung wirksam werden könnte.
Im Zentrum stehen dabei die enormen Bewertungsreserven aus festverzinslichen Papieren, die durch die Niedrigzinspolitik zur Rettung von Banken und Wirtschaft aufgetreten sind. Ende 2012 erreichten diese einen vorläufigen Höchststand von über 80 Milliarden Euro, Ende 2013 waren es immer noch knapp 60 Milliarden Euro. Bis zum Eintritt der Finanzkrise und der VVG-Reform im Jahr 2008 wies die Branche in Summe dagegen stille Lasten von bis zu mehr als 20 Milliarden Euro auf.
Milliardenschwere Schein-Reserven
Die VVG-Reform führte allerdings dazu, dass die Lebensversicherten an den neu entstandenen stillen Reserven in erheblichem Umfang partizipieren. Bei Auszahlung steht ihnen die Hälfte zu. Bei dieser Regelung war an stille Reserven aus beispielsweise Immobilien und Aktien gedacht worden, die zu einem günstigeren Buchwert eingekauft wurden, als sie derzeit am Markt zu veräußern sind. Hier handelt es sich um "echte" Reserven, weil sie voraussichtlich dauerhaft realisiert werden können.
Dagegen entstehen die Reserven in Staatsanleihen nur zeitbefristet bis zum jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt. Ältere Anleihen, die teilweise noch bis zu mehr als vier Prozent Zinsen bringen, sind derzeit besonders begehrt, weil Neuanlagen kaum noch mehr als ein Prozent bringen, teilweise sogar noch weniger. Die Versicherer werden durch die Bewertungsreservenausschüttung gezwungen, höherverzinsliche Anleihen zu verkaufen und niedrig verzinste neu zu erwerben. Im Ergebnis entspricht dies einer Umverteilung zwischen den Kunden, die zufällig derzeit einen Vertragsablauf erleben oder vorzeitig kündigen, und denen, die erst in weiterer Zukunft die Vertragsleistung erwarten. Sie werden durch die vorzeitige Auflösung höherverzinster Anlagen und Mitgabe der Bewertungsreserven geschädigt.
Versagen der Öffentlichkeitsarbeit
Dieser eigentliche einsichtige Zusammenhang wird allerdings öffentlich negiert. In den Medien sind fast durchweg Schlagzeilen wie "Versicherte müssen um ihre Ansprüche fürchten" (Frankfurter Allgemeine Zeitung), "Bundesregierung will Lebensversicherer unterstützen" (Süddeutsche Zeitung) oder "Kunden drohen Tausende Euro Verlust" (Bild) zu finden. Der Aspekt einer gerechteren Behandlung der Versicherten wird nur vereinzelt "im Kleingedruckten" erklärt. Stattdessen kursieren Vermutungen in der Presse, das Rettungspaket diene dazu, Versicherer vor ihren eigenen überhöhten Zinsversprechen der Vergangenheit zu schützen, die Aktionäre zu bereichern - viele Medien wissen wahrscheinlich gar nicht, dass viele Lebensversicherer Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit oder öffentlich-rechtliche Versicherer sind - und dem Vertrieb ein überhöhtes Einkommen zu sichern. Zusammenfassend hat die Öffentlichkeitsarbeit der Versicherungswirtschaft auf breiter Front versagt.
Ausweichen in die Einmalbeiträge
Ausbaden müssen das vermutlich die Vertriebe und die Kunden. Die Vertriebe sollen den Meldungen zufolge im Rahmen des Pakets eine Erhöhung der Stornohaftung - dies dürften dann wohl zehn Jahre werden - hinnehmen müssen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass sich die Neugeschäfte in der Lebensversicherung heute schon immer mehr in Richtung der stornohaftungstechnisch irrelevanten Einmalbeiträge verschieben, laut GDV gab es 2013 einen Zuwachs um 14,2 Prozent auf 25,7 Milliarden Euro.
Dagegen sind die von einer Stornohaftungsregelung betroffenen Verträge gegen laufenden Beitrag im Neugeschäft um 13,1 Prozent auf 5,3 Milliarden Euro Jahresbeitrag zurückgegangen. Eine Erhöhung der Stornohaftung wird diesen Trend weiter verstärken und damit die Lebensversicherung immer mehr zum Spekulations- statt zum langfristigen Konsumverzichts- und damit Altersvorsorgeprodukt mutieren lassen. Denn Einmalbeitragszahler betreiben gewollt oder ungewollte Arbitrage gegenüber denjenigen, die über längere Zeiträume laufend einzahlen und Hebelwirkungen in der Kapitalanlage realisieren helfen, aus denen ein marktüberdurchschnittlicher Zins überhaupt erst darstellbar wird. Dies ist eine völlig widersinnige Entwicklung.
Es würde sich auch lohnen zu untersuchen, aus welchen Vermittlungskanälen die hohen Einmalbeiträge bevorzugt kommen - vermutlich pikanterweise eher von Banken und Großvertrieben als aus klassischen Agentur- und Maklervertrieben.
Ausweichen in die "Honorarberatung"
Geplant ist den Meldungen zufolge außerdem eine gesetzliche Deckelung der Provisionen auf drei bis 3,5 Prozent der Beitragssumme. Hier scheint die Krankenversicherung Pate zu stehen. Problematisch hieran ist, dass das zum einen allenfalls in Ansätzen die Problematik überrechnungsmäßiger Abschlusskosten lösen hilft, die nicht nur durch Provisionen, sondern auch durch andere Abschlusskosten des Versicherers entstehen.
Pikant ist, dass jetzt schon im Markt zunehmend Absetzbewegungen zu beobachten sind, die Vertriebsvergütung ganz aus dem Produkt herauszulösen und in rechtlich separater Form mit dem Kunden zu vereinbaren. Dabei werden in den bisher bekannt gewordenen Fällen nicht selten eher noch höhere Vergütungen durchgesetzt als die bei Bruttotarifen üblichen Sätze, und das Ganze noch ohne die lästige Stornohaftung.
Kunden durchschauen Nachteile nicht
Sogar der Bundesgerichtshof hat kürzlich solchen Vertragsgestaltungen Vorschub geleistet und zumindest wettbewerbsrechtlich keine Bedenken gesehen, dass auch Versicherungsvertreter auf diesem Weg jedenfalls im Ergebnis Provisionsdeckel und Stornohaftzeiten umgehen. Von manchen Dienstleistern wird die irreführend als "Honorarberatung" bezeichnete Vermittlung von Lebensversicherungen gegen eine individuell vereinbarte Vergütung schon lange als neuer Dukatenesel verkauft, weil der Kunde die in diesen Modellen inkludierten Nachteile nicht durchschaut.
Am Ende fragt sich, wer zu welchen Bedingungen bereit sein wird, die vom Gesetzgeber 2001 und vor allem 2005 mit dem Alterseinkünftegesetz massiv komplexer gewordenen Altersvorsorgeberatung zu machen und echte Altersvorsorge mitsamt Konsumverzicht zu verkaufen. Denn gekauft wird das nicht, jedenfalls nicht von denen, die sie am dringendsten brauchen.
Vermittler sollten Anpassungshilfen fordern
Aber jammern hilft nicht: Der Vertrieb steht wahrscheinlich mitten im größten Umbruch der Nachkriegszeit. Diesen gilt es zu gestalten und ein Überleben zu sichern. Die Vermittlerschaft sollte mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln Anpassungshilfen des Staates verlangen, beispielsweise einen ungehinderten Zugang zum Kreditmarkt sowie klare Wettbewerbsspielregeln für so genannte Honorarberater, um leichter auf das Erbe des Dr. Zillmer und damit die als anstößig geltenden Einmalprovisionen verzichten und diese ganz oder teilweise durch laufende Vergütungen ersetzen zu können.
Im Zentrum stehen dabei die enormen Bewertungsreserven aus festverzinslichen Papieren, die durch die Niedrigzinspolitik zur Rettung von Banken und Wirtschaft aufgetreten sind. Ende 2012 erreichten diese einen vorläufigen Höchststand von über 80 Milliarden Euro, Ende 2013 waren es immer noch knapp 60 Milliarden Euro. Bis zum Eintritt der Finanzkrise und der VVG-Reform im Jahr 2008 wies die Branche in Summe dagegen stille Lasten von bis zu mehr als 20 Milliarden Euro auf.
Milliardenschwere Schein-Reserven
Die VVG-Reform führte allerdings dazu, dass die Lebensversicherten an den neu entstandenen stillen Reserven in erheblichem Umfang partizipieren. Bei Auszahlung steht ihnen die Hälfte zu. Bei dieser Regelung war an stille Reserven aus beispielsweise Immobilien und Aktien gedacht worden, die zu einem günstigeren Buchwert eingekauft wurden, als sie derzeit am Markt zu veräußern sind. Hier handelt es sich um "echte" Reserven, weil sie voraussichtlich dauerhaft realisiert werden können.
Dagegen entstehen die Reserven in Staatsanleihen nur zeitbefristet bis zum jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt. Ältere Anleihen, die teilweise noch bis zu mehr als vier Prozent Zinsen bringen, sind derzeit besonders begehrt, weil Neuanlagen kaum noch mehr als ein Prozent bringen, teilweise sogar noch weniger. Die Versicherer werden durch die Bewertungsreservenausschüttung gezwungen, höherverzinsliche Anleihen zu verkaufen und niedrig verzinste neu zu erwerben. Im Ergebnis entspricht dies einer Umverteilung zwischen den Kunden, die zufällig derzeit einen Vertragsablauf erleben oder vorzeitig kündigen, und denen, die erst in weiterer Zukunft die Vertragsleistung erwarten. Sie werden durch die vorzeitige Auflösung höherverzinster Anlagen und Mitgabe der Bewertungsreserven geschädigt.
Versagen der Öffentlichkeitsarbeit
Dieser eigentliche einsichtige Zusammenhang wird allerdings öffentlich negiert. In den Medien sind fast durchweg Schlagzeilen wie "Versicherte müssen um ihre Ansprüche fürchten" (Frankfurter Allgemeine Zeitung), "Bundesregierung will Lebensversicherer unterstützen" (Süddeutsche Zeitung) oder "Kunden drohen Tausende Euro Verlust" (Bild) zu finden. Der Aspekt einer gerechteren Behandlung der Versicherten wird nur vereinzelt "im Kleingedruckten" erklärt. Stattdessen kursieren Vermutungen in der Presse, das Rettungspaket diene dazu, Versicherer vor ihren eigenen überhöhten Zinsversprechen der Vergangenheit zu schützen, die Aktionäre zu bereichern - viele Medien wissen wahrscheinlich gar nicht, dass viele Lebensversicherer Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit oder öffentlich-rechtliche Versicherer sind - und dem Vertrieb ein überhöhtes Einkommen zu sichern. Zusammenfassend hat die Öffentlichkeitsarbeit der Versicherungswirtschaft auf breiter Front versagt.
Ausweichen in die Einmalbeiträge
Ausbaden müssen das vermutlich die Vertriebe und die Kunden. Die Vertriebe sollen den Meldungen zufolge im Rahmen des Pakets eine Erhöhung der Stornohaftung - dies dürften dann wohl zehn Jahre werden - hinnehmen müssen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass sich die Neugeschäfte in der Lebensversicherung heute schon immer mehr in Richtung der stornohaftungstechnisch irrelevanten Einmalbeiträge verschieben, laut GDV gab es 2013 einen Zuwachs um 14,2 Prozent auf 25,7 Milliarden Euro.
Dagegen sind die von einer Stornohaftungsregelung betroffenen Verträge gegen laufenden Beitrag im Neugeschäft um 13,1 Prozent auf 5,3 Milliarden Euro Jahresbeitrag zurückgegangen. Eine Erhöhung der Stornohaftung wird diesen Trend weiter verstärken und damit die Lebensversicherung immer mehr zum Spekulations- statt zum langfristigen Konsumverzichts- und damit Altersvorsorgeprodukt mutieren lassen. Denn Einmalbeitragszahler betreiben gewollt oder ungewollte Arbitrage gegenüber denjenigen, die über längere Zeiträume laufend einzahlen und Hebelwirkungen in der Kapitalanlage realisieren helfen, aus denen ein marktüberdurchschnittlicher Zins überhaupt erst darstellbar wird. Dies ist eine völlig widersinnige Entwicklung.
Es würde sich auch lohnen zu untersuchen, aus welchen Vermittlungskanälen die hohen Einmalbeiträge bevorzugt kommen - vermutlich pikanterweise eher von Banken und Großvertrieben als aus klassischen Agentur- und Maklervertrieben.
Ausweichen in die "Honorarberatung"
Geplant ist den Meldungen zufolge außerdem eine gesetzliche Deckelung der Provisionen auf drei bis 3,5 Prozent der Beitragssumme. Hier scheint die Krankenversicherung Pate zu stehen. Problematisch hieran ist, dass das zum einen allenfalls in Ansätzen die Problematik überrechnungsmäßiger Abschlusskosten lösen hilft, die nicht nur durch Provisionen, sondern auch durch andere Abschlusskosten des Versicherers entstehen.
Pikant ist, dass jetzt schon im Markt zunehmend Absetzbewegungen zu beobachten sind, die Vertriebsvergütung ganz aus dem Produkt herauszulösen und in rechtlich separater Form mit dem Kunden zu vereinbaren. Dabei werden in den bisher bekannt gewordenen Fällen nicht selten eher noch höhere Vergütungen durchgesetzt als die bei Bruttotarifen üblichen Sätze, und das Ganze noch ohne die lästige Stornohaftung.
Kunden durchschauen Nachteile nicht
Sogar der Bundesgerichtshof hat kürzlich solchen Vertragsgestaltungen Vorschub geleistet und zumindest wettbewerbsrechtlich keine Bedenken gesehen, dass auch Versicherungsvertreter auf diesem Weg jedenfalls im Ergebnis Provisionsdeckel und Stornohaftzeiten umgehen. Von manchen Dienstleistern wird die irreführend als "Honorarberatung" bezeichnete Vermittlung von Lebensversicherungen gegen eine individuell vereinbarte Vergütung schon lange als neuer Dukatenesel verkauft, weil der Kunde die in diesen Modellen inkludierten Nachteile nicht durchschaut.
Am Ende fragt sich, wer zu welchen Bedingungen bereit sein wird, die vom Gesetzgeber 2001 und vor allem 2005 mit dem Alterseinkünftegesetz massiv komplexer gewordenen Altersvorsorgeberatung zu machen und echte Altersvorsorge mitsamt Konsumverzicht zu verkaufen. Denn gekauft wird das nicht, jedenfalls nicht von denen, die sie am dringendsten brauchen.
Vermittler sollten Anpassungshilfen fordern
Aber jammern hilft nicht: Der Vertrieb steht wahrscheinlich mitten im größten Umbruch der Nachkriegszeit. Diesen gilt es zu gestalten und ein Überleben zu sichern. Die Vermittlerschaft sollte mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln Anpassungshilfen des Staates verlangen, beispielsweise einen ungehinderten Zugang zum Kreditmarkt sowie klare Wettbewerbsspielregeln für so genannte Honorarberater, um leichter auf das Erbe des Dr. Zillmer und damit die als anstößig geltenden Einmalprovisionen verzichten und diese ganz oder teilweise durch laufende Vergütungen ersetzen zu können.
Autor(en): Matthias Beenken