Warum zeigen manche Mitarbeiter mehr Selbstverantwortung als ihre Kollegen? Warum sind sie eher bereit, Verantwortung zu übernehmen? Diese Fragen beschäftigen viele Unternehmen nicht erst, seit sie die Agilität ihrer Organisation erhöhen möchten.
In unserer vernetzten Arbeitswelt werden die Aufgaben in den Unternehmen komplexer. Sie werden zudem verstärkt von bereichsübergreifenden Teams erbracht. Deshalb müssen die Führungskräfte ihre Mitarbeiter zunehmend an der langen Leine führen. Und die Mitarbeiter müssen mehr Selbstverantwortung zeigen.
Diese Erkenntnis ist nicht neu. Deshalb zielen letztlich alle Managementsysteme, die in den letzten Jahrzehnten en vogue waren, darauf ab, mehr Handlungs- und Entscheidungsbefugnisse auf die operative Ebene zu verlagern – unabhängig davon, ob sie Lean Management, TQM oder OKR heißen. Unbeantwortet blieben hierbei jedoch oft folgende Fragen:
- Welche psychologischen Dispositionen führen dazu, dass Menschen selbstverantwortlich handeln? Und:
- Wie lassen sich die individuellen Unterschiede bei der Bereitschaft, (Selbst-)Verantwortung zu übernehmen, erklären?
Wirkfaktor 1: Interne oder externe Kontrollüberzeugung?
Menschen mit einer internen Kontrollüberzeugung glauben, dass sie durch ihr Denken und Handeln ihr Leben beeinflussen können. Menschen mit einer externen Kontrollüberzeugung hingegen sind überzeugt, ihr Leben werde primär von Umständen bestimmt, die außerhalb ihres Einflussbereichs liegen. „Das bringt nichts“ und „Da kann man nichts machen“ sind typische Formulierungen von Menschen mit einer externen Kontrollüberzeugung. „Das muss irgendwie gehen“ und „Lasse es uns mal probieren“ hingegen sind typische Sätze von Menschen mit einer internen Kontrollüberzeugung.
In unserer von rascher Veränderung geprägten (Arbeits-)Welt brauchen wir zunehmend Gestalter, die trotz der damit verbundenen Risiken bereit sind, für sich und andere Verantwortung zu übernehmen – also Menschen mit einer internen Kontrollüberzeugung. Heute hört man von Managern die Klage: Die Mitarbeiter denken nicht „richtig“ nach und mit. Das Problem hierbei ist: Zum Mitzudenken lassen sich nur Menschen motivieren, die der Überzeugung sind, es ist möglich, den Lauf der Dinge zu beeinflussen. Deshalb sollten Personalverantwortliche schon beim Einstellen von Mitarbeitern – jobabhängig – darauf achten, wie ausgeprägt deren interne Kontrollüberzeugung ist.
Wirkfaktor 2: Wie ausbalanciert ist die Zeitorientierung?
Menschen mit einer hohen Selbstverantwortung haben zudem in der Regel ein ausbalanciertes Verhältnis zu Zeit. Das heißt, bei ihnen sind die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft im Denken und beim Entscheiden eng miteinander verknüpft. Sie sind offen für Neues. Zugleich leben sie aber nicht hedonistisch im Hier und Jetzt.
Psychologen fordern zwar oft, man solle stärker in der Gegenwart leben und den Moment auskosten, doch wer etwas gestalten möchte, darf nicht rein nach der Maxime „YOLO – You only live once“ leben. Man muss vielmehr auch aus den Erfahrungen lernen und die Konsequenzen des Handelns im Blick haben. Man sollte also, um langfristig tragfähige Entscheidungen zu treffen, keine hedonistische, sondern eine holistische Gegenwartsorientierung haben, wie der amerikanische Psychologe Philip Zimbardo dies nennt. Dies ist denn auch ein typisches Merkmal der sogenannten Macher bzw. Problemlöser, die jedes Unternehmen auf allen Ebenen braucht.
Gestalter haben eine starke Zukunftsorientierung
Die echten Gestalter haben hingegen in der Regel ein etwas anderes Persönlichkeitsprofil. Sie glauben zudem an eine positive Zukunft. Deshalb können sie bei Bedarf nicht nur den Verlockungen im „Hier und Jetzt“ widerstehen, sondern auch mutige Entscheidungen treffen. Der Wille, Dinge zu gestalten, ist psychologisch betrachtet sozusagen unauflösbar mit einer positiven Zukunftsperspektive verknüpft.
Ein wirksames Tool zum Fördern der Selbstverantwortung der Mitarbeiter ist das Storytelling. Hierbei geht es darum, spannende Geschichten zu erzählen und zukunftsweisende Fragen zu stellen. Das Ziel hierbei ist, dass die Mitarbeiter ein Bild der Zukunft entwickeln, dass sie motiviert, weil sie ein Teil hiervon sein möchten. Gerade in Marktumbruchzeiten ist es wichtig, dass Führungskräfte in einem kontinuierlichen, motivierenden Dialog mit ihren Mitarbeitern stehen, denn: Wenn ihnen ihr Storytelling gelingt, erwächst hieraus eine große Handlungsenergie.
Wirkfaktor 3: Eine der Situation und Person angemessene Kontrolle
Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Führungskräfte ihre Mitarbeiter dann loslassen können, weil sie sozusagen automatisch ihr Potenzial entfalten. Das Vertrauen beziehungsweise Loslassen darf nie so weit gehen, dass der Mitarbeiter denkt: Meine Führungskraft interessiert sich nicht für mich und meine Arbeit. Im Führungsalltag muss es also stets eine gewisse Kontrolle geben. Dabei gilt es jedoch die rechte Balance zu wahren.
Ohne Kontrolle ist kein fundiertes Feedback möglich. Um ein solches Feedback, auch positives zu geben, muss die Führungskraft sich die Arbeit ansehen und diese wertschätzend kontrollieren. Ansonsten ist nur ein oberflächliches „gut gemacht“ möglich, welches weniger Wirkung entfaltet als eine detaillierte Rückmeldung. Außerdem keimt ohne eine angemessene Kontrolle in Teams oft ein unsoziales Verhalten auf. Diese Gefahr ist gerade bei virtuellen Teams groß, da bei ihnen auch die wechselseitige soziale Kontrolle weitgehend entfällt. Versuchen jedoch einige Mitarbeiter, die Situation zu ihren Gunsten auszunutzen, infiziert dieses Verhalten wiederum meist Kollegen und irgendwann haben die Mitarbeiter, die ihren Job verantwortungsbewusst machen, das Gefühl: „Wir sind die Dummen.“ Dies führt auch bei ihnen zu einem Nachlassen der Motivation und Selbstverantwortung.
Vertrauen und Kontrolle widersprechen sich nicht
Deshalb sollten Führungskräfte, die die Selbstverantwortung ihrer Mitarbeiter fördern möchten zwar mit Vertrauen führen, aber zugleich eine adäquate Kontrolle ausüben. Diese Kontrolle darf jedoch nicht auf der Haltung basieren „Ich will die Fehler finden“. Die Handlungsmaxime muss vielmehr sein: „Ich will sehen, wie gut der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin beziehungsweise das Team das macht.“ Die Kontrolle der Arbeitsweise und Arbeitsergebnisse sollte also auf der Basis eines wechselseitigen Vertrauens erfolgen.
Autor(en): Joachim Simon, Braunschweig, ist Führungskräftetrainer und -coach.