Die diesjährige Konferenz der EZB im portugiesischen Sintra begann mit einer Überraschung: Kurz vor seinem Amtsende kündigte EZB-Chef Draghi eine dramatische Umkehr der EZB-Politik an. Draghi unterstrich die uneingeschränkte Bereitschaft der EZB, im Falle weiterer Konjunkturschwäche der Euro-Zone zu einer Politik massiver Wertpapierkäufe zurückzukehren und auch noch tiefere Negativzinsen in Betracht zu ziehen.
EZB-Chef Mario Draghi betonte, dass wenn die Inflation weiterhin nicht anziehe, zusätzlicher geldpolitischer Anschub erforderlich sein werde. "Wir werden alle Flexibilität innerhalb unseres Mandats nutzen, um unseren Auftrag zu erfüllen." Die Börsen zogen nach dieser Aussage deutlich an. Der Euro-Kurs fiel hingegen unter die Marke von 1,12 Dollar.
Der Dax drehte nach Draghis Rede ins Plus und gewann zeitweise fast zwei Prozent. Am Anleihemarkt fiel die Rendite der zehnjährigen deutschen Bundesanleihe auf ein Rekordtief von minus 0,323 Prozent. "Draghi macht damit verbal einen weiteren wichtigen Schritt, um die Werkzeugkiste der unkonventionellen Maßnahmen im späteren Jahresverlauf erneut zu öffnen - erste Wahl wäre wohl eine Leitzinssenkung", kommentierte Elmar Völker, Anleihen-Analyst beim Bankhaus LBBW.
EZB will anhaltend niedrige Inflation nicht akzeptieren
Die Indikatoren für die kommenden Quartale deuteten auf eine anhaltende Konjunkturschwäche hin, sagte Draghi. "In den nächsten Wochen wird der EZB-Rat überlegen, wie unsere Instrumente entsprechend der Größe des Risikos für die Preisstabilität angepasst werden können." Die EZB werde eine anhaltend niedrige Inflation nicht akzeptieren.
Diesen Schwenk von Draghi sieht Heinz-Werner Rapp, Vorstand und Chief Investment Officer bei Feri, äußerst kritisch: „Die EZB verliert sich immer mehr in einer Scheinrealität, die für jedes Problem nur eine Antwort hat: Geld zu drucken und so eine massive monetäre Verwässerung des gesamten Finanzsystems voranzutreiben“.
Inflationsziel von zwei Prozent stets unrealistisch
Für viele Beobachter sei zwar längst klar gewesen, dass die EZB ihren seit 2018 angekündigten Kurs einer geldpolitischen Normalisierung nicht lange würde durchhalten können. „Die EZB befand sich damit klar im Widerspruch zum schon damals erkennbaren konjunkturellen Abschwächungszyklus“, erläutert Rapp. Auch das von der EZB immer vertretene Inflationsziel von zwei Prozent sei im aktuellen weltwirtschaftlichen Umfeld stets unrealistisch gewesen. Dennoch sei das im Dezember 2018 eingeleitete Ende der massiven Wertpapierkäufe („Q.E.“-Programm) bislang relativ sicher erschienen, da die EZB sonst ihre eigenen Regeln hätte brechen müssen.
Kehrtwende der EZB stellt bislang „unumstößliche“ Regeln infrage
Durch die neuen Aussagen von Draghi werde nun jedoch erneut eine massive Kehrtwende der EZB eingeleitet, die sogar bislang „unumstößliche“ Regeln infrage stellt. Schon die Aussage, man könne bisherige Höchstquoten für den Ankauf von Staatsanleihen nun plötzlich außer Kraft setzen, sei bizarr und widerspreche allen bisherigen Aussagen der EZB. „Die EZB bereitet einen geldpolitischen ‚Overkill‘ vor, ohne auch nur ansatzweise die Wirksamkeit und Risiken ihrer bisherigen Politik zu hinterfragen.“, kritisiert Rapp.
Probleme durch massive Geldschöpfung lösen zu wollen, ist gefährlich
Rapp moniert zudem, dass die EZB sich damit einreihe in den aktuellen Zeitgeist, der das Drucken von Geld als Mittel zur Lösung realwirtschaftlicher Probleme betrachte. „Diese Idee bewirkt nichts als monetäre Verwässerung und langfristige Zerrüttung ganzer Finanzsysteme.“, ist Rapp überzeugt. Dennoch werde dieser Weg global immer stärker beschritten. Dies zeige sich in der Popularität „alternativer“ geldpolitischer Konzepte, wie zuletzt in den USA mit der „Modern Monetary Theory“. „Der neue Weg vieler Regierungen und Notenbanken, ihre Probleme durch immer massivere Geldschöpfung lösen zu wollen, ist gefährlich und sollte Investoren und Vermögensinhaber beunruhigen“, warnt Rapp. Sachwertorientierte Anlagestrategien seien in einem derartigen Umfeld prinzipiell zu favorisieren.
Was demnächst passieren soll
In der EZB wird derzeit die Möglichkeit diskutiert, den Banken mit gestaffelten Einlagezinsen helfen, um die Folgen der jahrelangen Negativzinsen abzumildern. Die nächste Zinssitzung der EZB ist am 25. Juli. Investoren am Geldmarkt rechnen nun fest mit einer Zinssenkung im Euro-Raum und zwar noch in diesem Jahr.
Die Euro-Notenbank hält ihren Leitzins bereits seit März 2016 auf 0,0 Prozent. Ihr Einlagensatz ist seit 2014 negativ. Seitdem müssen Geldhäusern Strafzinsen zahlen, wenn sie über Nacht überschüssige Gelder bei der Notenbank lagern. Der Satz liegt inzwischen bei minus 0,4 Prozent. In Deutschland klagen Banken schon seit geraumer Zeit, dass dies an ihren Gewinnen zehrt. Aus diesem Grund fordern sie ein Ende der Negativsätze.
Quellen: Feri AG; Frank Siebelt und Balazs Koranyi (Reuters)
Autor(en): Versicherungsmagazin