Die Zahl der Rentner, die Hartz IV beziehen, ist im vergangenen Jahr deutlich gestiegen. Für fast 600.000 Menschen in Deutschland reicht die Rente nicht zum Leben aus – die höchste Zahl seit fast 20 Jahren. Die Dunkelziffer ist hoch. Und die Situation wird sich wegen des Ukraine-Kriegs verschärfen.
Im September 2021 bezogen 579.095 Ruheständler die so genannte Grundsicherung im Alter, wie aus einer Datenabfrage der Linken-Bundestagsfraktion beim Statistischen Bundesamt hervorgeht. Das ist der höchste Wert seit fast zwei Jahrzehnten, wie Medien berichten. Seit 2003 hat sich die Gesamtzahl der Rentnerinnen und Rentner, die mit Hartz IV auf das staatliche Existenzminimum angewiesen waren, fast verdoppelt.
Die Grundsicherung beträgt bei der Hilfe zum Lebensunterhalt 449 Euro beziehungsweise 808 Euro für (Ehe-)Paare. Dazu kommen angemessene Kosten für die Wohnung abhängig von der anrechenbaren Warmmiete. Wie Medien berichten, betrage der durchschnittliche Bruttobedarf bei der Grundsicherung beträgt aktuell 851 Euro im Monat. Davon sollen Lebensunterhalt, Heizung und Miete abgedeckt werden. Um nach einem Arbeitsleben eine gesetzliche Rente von mehr als 851 Euro im Monat ausgezahlt zu bekommen, müssten Beschäftigte mit durchschnittlichem Verdienst nach neuen Berechnungen 28 Jahre in die Rentenversicherung einzahlen. Das geht ebenfalls aus einer aktuellen Antwort des Bundesarbeitsministeriums auf eine Linken-Anfrage hervor.
Fast jeder vierte über 80-Jährige betroffen
Die aktuelle vom Bundesseniorenministerium geförderte Studie „Hohes Alter in Deutschland“ (D80+) zeigt, dass 22,4 Prozent der über 80-Jährigen in Deutschland von Armut betroffen sind (Anteil in der Gesamtbevölkerung 14,8 Prozent). Bei über 80-jährigen Frauen liegt der Anteil noch höher. Auch der Bildungsstand spielt eine Rolle. Bundesseniorenministerin Anne Spiegel betonte anlässlich der Veröffentlichung: „Dass so viele alte Menschen in Armut leben müssen, ist unserer reichen Gesellschaft nicht würdig. Besonders betroffen sind die Frauen: Der Anteil armer Frauen über 80 Jahren ist fast zehn Prozentpunkte höher als der Anteil ihrer männlichen Altersgenossen.“ Dass Frauen noch stärker von Altersarmut betroffen sind, liegt an schlechterer Bezahlung, längerer Teilzeitarbeit und häufigen Unterbrechungen im Erwerbsleben. Besonders hoch ist die Armutsquote bei Frauen, die nie einer Erwerbstätigkeit nachgegangen sind.
Dunkelziffer noch höher
Dazu kommen bedürftige Rentner, die aus Scham nicht zum Sozialamt gehen, die Zahl der Betroffenen liegt im Dunkeln. Nach Schätzungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung sollen bis zu zwei Drittel der Anspruchsberechtigten die Leistungen nicht beantragen. Damit kommt man auf eine Zahl von etwa 1,7 Millionen Rentnern in Deutschland, die tatsächlich arm sind. Ein weiteres Indiz für Altersarmut: Immer mehr Ältere müssen zusätzlich Geld verdienen. Bereits heute arbeitet laut „Wirtschaftswoche“ knapp eine Million Menschen mit über 65 Jahren, davon über 760.000 in Minijobs.
Aktuell kommen laut Tafel Deutschland 1,65 Millionen Menschen regelmäßig zu den Tafeln. Besonders bei Senioren, die Rente oder Grundsicherung im Alter beziehen, ist der Anstieg mit 20 Prozent dramatisch. Niedrige Renten sind damit nach Langzeitarbeitslosigkeit der zweithäufigste Grund, eine derartige Einrichtung aufzusuchen. „Diese Entwicklung ist alarmierend – und sie ist erst der Anfang. Altersarmut wird uns in den kommenden Jahren mit großer Wucht überrollen“, warnt der Vorsitzende von Tafel Deutschland, Jochen Brühl.
Tendenz steigend
Bei all diesen Zahlen sind die aktuellen Entwicklungen der zunehmenden Inflation und der Folgen des Ukrainekriegs mit stark steigenden Energiepreisen etwa zum Beheizen der Wohnung und Strom noch gar nicht eingepreist. Die Lage für die Armen in diesem Land wird noch prekärer werden. Wie aus einem Bericht der Caritas hervorgeht, ist die Lage inzwischen alarmierend. In den Beratungsstellen melden sich immer mehr Menschen, die Schulden machen müssen, um die laufenden Energiekosten bezahlen zu können. Schulden wegen zu hoher Gaspreise und Strompreise – der Begriff der Energiearmut macht die Runde.
Ein „Weiter so“ darf es für die Politik nicht geben. Die Ärmsten in Deutschland dürfen nicht Opfer aktueller Entwicklungen werden. Gäbe es die Tafeln nicht, wäre die Situation noch schlimmer. Das ist eines Sozialstaats unwürdig!
Autor(en): Bernhard Rudolf