Die Versicherungsbranche leidet unter Reputationsschäden in der Covid-19-Pandemie. Beim Münsterischen Versicherungstag ging es um die juristische Bewertung, aber auch um einen Ausblick auf den weiteren Umgang mit Pandemierisiken.
Neben dem allgemeinen Fortschritt von Regulierungen und speziell dem Umgang mit Künstlicher Intelligenz widmete sich der 38. Münsterische Versicherungstag der aktuellen Frage, wie sich die Versicherungswirtschaft dem Thema Nachhaltigkeit öffnen kann. Die Kürzel „ESG“ für „Environmental; Social and Governance“ bekommen bei Versicherern eine besondere Management-Aufmerksamkeit, machte Dr. Monica Mächler aus dem Vorstand des Zurich-Konzerns deutlich. Ein Schwerpunkt liege allerdings auf dem Thema Klimawandel. Die Anstöße für Veränderungen kämen aus der supranationalen Ebene – Beispiel ist das Klimaabkommen von Paris.
Versicherer müssen künftig offenlegen, wie sie mit solchen Herausforderungen umgehen. Das geht über die bereits bestehenden Offenlegungspflichten in den Risikoberichten hinaus. So sollen Versicherer beschreiben, inwieweit sie ESG-Kriterien in ihre Unternehmensstrategie einbeziehen, und welche organisatorischen Vorkehrungen und Verantwortlichkeiten sie festgelegt haben.
Keine Defizitthemen bei Versicherern?
Vor allem im Risikomanagement und im Internen Kontrollsystem sind ESG-Risiken ein Thema. Im ORSA-Bericht sollen Szenarien dem Außenstehenden verdeutlichen, wie sich insbesondere Klimaänderungen auf die Risikobewertung und die Solvenz des Versicherers auswirken. Das betrifft keineswegs nur versicherungstechnische Risiken durch beispielsweise eine Zunahme von Überschwemmungen und Dürren. Auch auf der Finanzseite, operationell, bei der Reputation und ganz allgemein systemisch gilt es Risiken zu berücksichtigen.
Mächler warb dafür, einen ganzheitlicheren Blick auf Nachhaltigkeit einzunehmen und den Fokus nicht auf Klimafragen zu verengen. Auf die Frage, wo sie konkreten Handlungsbedarf der Versicherer erkennt, antwortete sie ausweichend. Es gebe keine „Defizitthemen“, sondern es gehe um eine kontinuierliche Verbesserung.
Niemand kann alles voraussehen – oder vorausgesehen haben wollen
Ausweichend agierte auch der Vertreter des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Oliver Hauner, in der Diskussion um die Zukunft der Pandemiedeckung. Zuvor präsentierte Professor Stefan Perner von der Wirtschaftsuniversität Wien eine gelungene Zusammenfassung der Rechtsfragen und bisherigen Gerichtsentscheidungen zur Betriebsschließungsversicherung.
Perner machte darauf aufmerksam, dass es Versicherern nicht zumutbar sei, jedes künftige Risiko zu decken. Auch Kunden, die Leistungen aus der Betriebsschließungsversicherung einklagen, könnten kaum behaupten, eine Pandemie mit flächendeckenden, präventiven Betriebsschließungen schon vor Jahren vorausgesehen und genau für diesen Zweck eine solche Versicherung abgeschlossen zu haben. Nur wer in die beginnende Pandemie hinein noch schnell eines solche Versicherung erworben hat wie im Fall des Münchener Gastronomen, dem das Landgericht München rund eine Million Euro Schadenzahlung zugesprochen hatte, dürfte einen umfassenden Pandemie-Versicherungsschutz erwartet haben.
Nach Perners Einschätzung schließen viele Bedingungen schon allein deshalb Leistungen aus, weil Krankheiten durch Covid-19 nicht in den taxativen Aufzählungen enthalten sind. Sechs zu eins zugunsten der Versicherer steht es nach Perners Liste bei den Urteilen verschiedener Gerichte. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass die gelisteten Krankheiten nach Versicherungsvertrag vom Infektionsschutzgesetz abweichen, dies für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer verständlich ist und daher weder eine Deckung besteht noch eine Inhaltskontrolle der Klausel notwendig wird.
Anders sieht es bei Bedingungen aus, die eine ausschließlich dynamische Verweisung auf das Infektionsschutzgesetz vorsehen oder eine Kombination aus einer solchen direkten Gesetzesverweisung und einer – seit März unvollständigen – Krankheitenliste.
Bayerische Lösung wird auch in Österreich angewendet
Für weniger überzeugend hielt Perner Argumente der Versicherer wie eine fehlende Zuständigkeit von Behörden bei der Betriebsschließung oder einer lediglich intrinsischen Gefahr, die als versichert gelten soll. Sehr uneinheitlich ist die bisherige gerichtliche Bewertung der Frage, ob ein Betrieb im Sinn der Bedingungen geschlossen war, wenn er in beschränktem Maß weiterhin tätig sein konnte wie die Aufnahme von Geschäftsreisenden im Hotel, Außer-Haus-Lieferung von Speisen bei Gaststätten oder Notbetreuung in Kindertagesstätten. Es kommt hier auf die Umstände des Einzelfalls an.
Perner verwies weiter auf die Schadenminderungspflicht, aufgrund derer tatsächlich realisierte Umsätze anzurechnen seien. Ob das auch für erhaltene staatliche Leistungen gilt, sei strittig. Als positiv bewertete er die „Bayerische Lösung“, um unklare Fälle schnell zu lösen. Diese sei auch in Österreich übernommen worden. Zu einer möglichen Vermittlerhaftung für eine fehlerhafte Auswahl solcher Versicherungen äußerte Perner sich vorsichtig ablehnend. Die Versicherer müssten nun aber ihre Bedingungswerke überarbeiten, Unklarheiten beseitigen und „Kraut und Rüben“ bekämpfen, die er bei manchen fehlerhaften Bezeichnungen des „Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen“ ausmachte.
Unternehmen können nicht warten
In der nachfolgenden Paneldiskussion machte GDV-Vertreter Hauner wenig Hoffnung, dass es zügig neue Versicherungsmodelle für Pandemien geben wird. Man wolle „nichts übers Knie brechen“, denn ein neues, möglichst mit der Politik gemeinsam vereinbartes Versicherungskonzept solle „lange halten“. Gedacht ist an ein Partnerschaftsmodell aus staatlicher und privatwirtschaftlicher Deckung ähnlich wie beim Terrorversicherer Extremus oder bei Kreditdeckungen.
Enttäuscht über diese Aussichten zeigten sich sowohl Christian Böhm, der als Vorstandsmitglied den Gesamtverband versicherungsnehmende Wirtschaft vertrat, als auch Dr. Hans-Georg Jenssen vom Bundesverband Deutscher Versicherungsmakler. Jenssen witterte sogar eine Verschwörung der Versicherer und der Medien, die nur über die für Kunden verlorenen Gerichtsprozesse berichten würden –eine einfache Google-Recherche belegt eher Gegenteiliges.
Hauner glaubt dagegen Hinweise aus der Politik zu haben, dass vor der Bundestagswahl keine Entscheidungen mehr getroffen würden. Böhm dagegen berichtete über großen Druck in den Unternehmen, allein schon wegen der drohenden Managerhaftung bei unterlassenem Versicherungsabschluss sowie möglichen Abwertungen durch Ratinginstitute. Die Zuhörerinnen und Zuhörer blieben etwas ratlos zurück, ob und welche Konturen eine Lösung für künftige Ausfalldeckungen haben können.
Autor(en): Matthias Beenken