GDV fürchtet trügerische Ruhe vor dem Insolvenzsturm

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Die Corona-Krise hat die wirtschaftliche Situation zahlreicher Unternehmen dramatisch verändert. Viele dieser gestrauchelten Firmen haben aber bislang noch keine Insolvenz angemeldet. Doch wohl nur, weil diese Verpflichtung kurzfristig ausgesetzt wurde. Dies wird sich ab 1. Oktober aber teilweise wieder ändern. Das kann die Firmenchefs in die Haftung bringen. Worauf sich Manager genau einstellen müssen, wurde bei dem GDV-Mediengespräch “Insolvenzen in der Corona-Pandemie – Hohe Haftungsrisiken für Manager“ detailliert erläutert.  

Die Versicherungswirtschaft erwartet für das Jahr 2021 zahlreiche Prozesse gegen Geschäftsführer und Vorstände, deren Unternehmen in der Corona-Pandemie insolvent werden. Dieses unschöne Szenario erwartet der GDV darum, weil überschuldete Unternehmen bis Ende des Jahres keinen Insolvenzantrag stellen müssen. Doch dieses Angebot des Staates sieht der Verband kritisch: „Das Aussetzen der Insolvenzantragspflicht hilft der Wirtschaft nicht, sondern verschiebt die Insolvenzwelle in die Zukunft und richtet in der Gegenwart Schäden an: Sie verstellt den Blick auf die tatsächliche wirtschaftliche Entwicklung, hält Unternehmen künstlich am Leben und schafft Unsicherheit allerorten“, moniert GDV-Geschäftsführer Jörg Asmussen.

2019 lag die Anzahl der Insolvenzen bei rund 19.000

Daniel Messmer, Vorsitzender der Arbeitsgruppe D&O-Versicherung bei Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), beschrieb, wie die Versicherungswirtschaft mit dem „Haftungsrisiko Insolvenz“ umgeht. Erfreuliche Grundlage für die aktuellen Betrachtungen: Die Firmeninsolvenzen gehen seit 2009 zurück. Im Jahr 2019 lag die Anzahl dieser bei rund 19.000. Erfreulich auch der positive Trend, dass die Professionalisierung der Insolvenzverwalter deutlich zugenommen hat. O-Ton Messmer: „Die Waffenungleichheit zwischen den Versicherern und den Insolvenzverwaltern hat sich deutlich verändert.“

Trendumkehr spätestens für Frühjahr 2020 befürchtet

Und wie schätzt der D&O-Fachmann die momentane Lage ein? „Aktuell sehen wir keinen Anstieg der Insolvenzen eher einen Gleichstand oder leichten Rückgang.“ Messmer vermutet als Grundlage hierfür die aktuellen Erleichterungen der Bundesregierung für angeschlagene Unternehmen. Sobald diese staatliche Unterstützung aber nicht mehr geleistet werde, werde sich das Bild sicherlich ändern. Messmer wörtlich: „Es wird sicherlich nur eine Frage der Zeit sein, dass wir bedingt durch die Corona-Pandemie eine Trendumkehr bei den Insolvenzen feststellen werden. Vielleicht schon im Oktober oder auch erst im Frühjahr nächsten Jahres.“

Und für den Fall, dass bei diesen Unternehmen eine D&O-Versicherung existiere, diese vom Insolvenzverwalter entsprechen ausgelöst werde. Denn eine Inanspruchnahme der D&O werde von diesen ein gewisses Massesicherungsgut eingeschätzt. Die Folge der Insolvenzen wird sein: langwierige und kostspielige Verfahren, zahlreiche Forderungen von Insolvenzverwaltern, vor dem Hintergrund wahrscheinlich steigender Gerichts- und Anwaltskosten. Das bedeutet am Ende: eine hohe finanzielle Belastung für die Versicherer. 

Wie die Managerhaftung wegen verspäteter Insolvenzantragstellung in der Corona-Krise aussieht
Grundsätzlich sind Geschäftsleiter gesetzlich verpflichtet, bei eingetretener Insolvenzreife einen Insolvenzantrag zu stellen. Zwingende Insolvenzgründe sind dabei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung.

Und wann ist ein Unternehmen eigentlich zahlungsunfähig?
Zahlungsunfähig ist ein Unternehmen, wenn es mit den ihm zur Verfügung stehenden liquiden und liquidierbaren Mitteln nicht mindestens 90 Prozent seiner fälligen und fällig werdenden Verbindlichkeiten in einem Zeitraum von drei Wochen begleichen kann.

Und überschuldet ist ein Unternehmen, wenn es nicht mehr in der Lage ist, mit den Liquidationswerten ihrer Aktiva die Verbindlichkeiten und Rückstellungen zu decken und zudem keine positive Fortführungsprognose vorliegt.

Und was ist, wenn Geschäftsleiter ihren Insolvenzantrag verspätet stellen? Dann drohen ihnen massive Haftungsrisiken. Das heißt genau: Sie haften grundsätzlich für jede nicht zurückbehaltene Zahlung und nicht nur für eingetretenen Schaden. Eine Verteidigung ist nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich.

Und wie sah/sieht es mit der Insolvenzantragspflicht und den Haftungsregeln in der Pandemie aus?

Seit Beginn der Corona-Pandemie und noch bis zum 30. September 2020, also nur noch bis heute, gilt: Die Insolvenzantragspflicht für zahlungsunfähige oder überschuldete Unternehmen ist ausgesetzt. Auch Zahlungen trotz Insolvenzreife bleiben grundsätzlich erlaubt. Aber diese kurzzeitige Regelung darf nicht als Freibrief verstanden werden.

Folgende Voraussetzungen sind zu beachten:

  1. Die Insolvenzreife muss klar erkennbar eine Folge der Corona-Pandemie sein.
  2. Das zahlungsunfähige Unternehmen muss eine realistische Chance haben, wieder in naher Zukunft wieder zahlungsfähig zu werden.

    Sind diese Punkte nicht erkennbar, muss der Insolvenzantrag gestellt werden.

    Und wie sieht es ab dem 1. Oktober 2020 aus?
    Ab diesem Zeitpunkt gilt für zahlungsunfähige Unternehmen wieder die Insolvenzantragspflicht. Das bedeutet in Detail, dass in den vergangenen Monaten nicht beglichene, fällige Verbindlichkeiten ab dem 1. Oktober 2020 voll in die Liquiditätsprüfung mit einzubeziehen sind.

    Diese rechtliche Änderung wird zu einer Erhöhung der Insolvenzantragszahlen führen, sind die GDV-Experten sicher. Die Insolvenzantragspflicht für überschuldete Unternehmen bleibt dahingegen bis zum 31. Dezember 2020 ausgesetzt.

    Und warum wird unterschieden zwischen zahlungsunfähigen und überschuldeten Unternehmen?
    Die Antwort von Rechtsanwalt Wolfram Desch, Fachanwalt für Insolvenzrecht bei der Wirtschaftskanzlei GvW Graf von Westfalen dazu: „Dies ist eine rechtspolitische Entscheidung. Überschuldente Unternehmen sind häufig die wirtschaftlich eher überlebensfähigeren als die zahlungsunfähigen. Wenn Unternehmen schon zahlungsunfähig sind, sind diese schon relativ spät in ihrem Restrukturierungsprozess. Denn ihr Konto ist leer, sie können einfach nicht mehr zahlen. Und diesen Unternehmen wollte man das Privileg, keinen Insolvenzantrag stellen zu müssen, nicht zugutekommen lassen. Wenn es wirklich brennt, liegt meist die Zahlungsunfähigkeit vor. Und dann ist es für Alles zu spät. Und dann müssen die Unternehmen eben wieder einen Insolvenzantrag stellen, also ab 1. Oktober."

    Seine Wirtschaftskanzlei ist aber vor allem mit Insolvenzanträgen auf Grund von Zahlungsunfähigkeit konfrontiert.

    Hohe Schadensersatzforderungen nach Insolvenzen

    Insolvenzverwalter verlangen von Managern insolventer Unternehmen oftmals hohe Summen. Doch nur ein Bruchteil der Forderungen ist wirklich berechtigt, so das Resultat einer Untersuchung des GDV.

    Wie die Ausgangssituation aussieht: Geschäftsführer und Vorstände sollen nach einer Insolvenz im Durchschnitt für sieben Millionen Euro persönlich haften. Die Verhandlungen rund um die Ansprüche dauern oft mehr als zwei Jahre. Die Anwalts- und Prozesskosten belaufen sich auf durchschnittlich 30.000 Euro.

    Der GDV hat drei wichtige Aspekte herausgefunden:

    1. Die ursprüngliche Forderung war in keinem einzigen Fall in vollem Umfang berechtigt.
    2. In einem Drittel der Fälle mussten die Manager überhaupt nicht haften.
    3. In zwei Drittel der Fälle waren die Geschäftsführer und Vorstände wirklich verpflichtet zu zahlen. Die durchschnittliche Summe belief sich auf 140.000 Euro – magere zwei Prozent der ursprünglichen Forderung.

      Die obigen Erkenntnisse sind durch eine Sonderauswertung des GDV von 368 Schadenfällen entstanden und zwar nach Insolvenzen aus der D&O-Versicherung. Diese Versicherungen sind zwischen 2017 und 2019 abgeschlossen worden.

      Autor(en): Meris Neininger

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