Die Studie des Journalisten Robert Paquet liegt nun in einer leicht abgemilderten Version vor. Dennoch enthält sie ein vernichtendes Fazit zu den Plänen des linken Parteienspektrums und des DGB. Allen Plänen gemeinsam ist das fehlende, überzeugende Transferszenario. "Die Forderung nach Einführung der Bürgerversicherung - so wie sie jedenfalls bisher beschrieben ist - und das Anliegen, die Arbeitsplätze in der PKV zu erhalten, ist und bleibt widersprüchlich“, schreibt Dr. Robert Paquet, nach eigenen Angaben freier Journalist und Gesundheitsberater, in der jetzt als "Arbeitspapier 284" der Hans Böckler Stiftung veröffentlichten Studie "Auswirkungen der Bürgerversicherung auf die Beschäftigung in der gesetzlichen und der privaten Krankenversicherung".
Konzepte nicht zu Ende gedacht
Darin hat er die nach einer ersten Vorabversion publik gewordene Zahl von 100.000 gefährdeten Arbeitsplätzen um rund ein Viertel reduziert. Dennoch hat es das Papier in sich. Sein Fazit zu den Ideen von SPD, Grünen, Linkspartei und DGB zur Bürgerversicherung: "Dabei fehlt in allen Konzepten ein ausgearbeitetes "Transformationskonzept" vom Status Quo zum angestrebten Modell."
Dabei gibt es nicht das eine Modell Bürgerversicherung, macht Paquet deutlich. Vielmehr haben die vier untersuchten Konzepte im Detail unterschiedliche Ansätze. Ein für die Wirkung auf die Arbeitsplätze wichtiger Unterschied liegt in den Vorstellungen über eine Überführung der Vollversicherung.
Linkspartei und DGB verlangen eine Übernahme der betroffenen PKV-Beschäftigten in die GKV, was Paquet aber anhand eines detaillierten Vergleichs der jeweiligen Prozesse als unrealistisch zurückweist. Erstens gebe es kaum direkt vergleichbare Arbeitsanforderungen, zweitens eine völlig unterschiedliche Mentalität, drittens unterschiedliche Gehalts- und Ausbildungsgefüge und viertens auch gar keinen erkennbaren Bedarf der GKV, so kann man die Einwände Paquets gegen das Übernahmemodell zusammenfassen.
Zusatzversicherung darf die PKV gar nicht retten
Bei SPD und Grünen sieht das Bürgerversicherungskonzept die Möglichkeit vor, dass die PKV im Wesentlichen für Bestandskunden offen bleibt. Die Grünen können sich auch ein Angebot eines Bürgerversicherungs-Tarifs durch private Anbieter vorstellen. Doch auch mit diesen Ideen setzt Paquet sich kritisch auseinander. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass es nicht sinnvoll ist, eine Bürgerversicherung einzuführen, gleichzeitig aber ausreichend attraktive Rahmenbedingungen und Anreize für einen Verbleib oder gar Wechsel in die PKV zu erhalten. Vielmehr ist damit zu rechnen, dass der Verbleib denkbar unattraktiv gestaltet wird.
Die letzte große Hoffnung könnte eine Ausweitung des Zusatzversicherungsgeschäfts sein. Allerdings macht es nur einen kleinen Teil der Prämien aus und wächst langsamer als die Vollversicherung. Die politischen Konzepte gehen nach Paquets Analyse alle gerade nicht in Richtung einer Ausweitung des Handlungsspielraums für private Zusatzversicherungen, im Gegenteil. Vielmehr sollen die Leistungen der Bürgerversicherung eher gegenüber der GKV wieder ausgedehnt werden. Es wäre zudem ein offener Widerspruch, einerseits einer einheitlichen Versorgung aller Bürger das Wort zu reden und gleichzeitig eine differenzierte, freiwillige Zusatzversorgung mit Zwei-Klassen-Charakter" zu fördern.
"Was Arbeitsplätze in der PKV erhält, mindert die Attraktivität der Bürgerversicherung und umgekehrt; was die Bürgerversicherung attraktiv macht, kostet Arbeitsplätze in der PKV", resümiert Paquet.
Wer alles um seinen Job bangen muss
Bei seiner spektakulären Schätzung der betroffenen Arbeitsplätze geht Paquet vor allem von 50.000 Angestellten in Versicherungsunternehmen und 17.000 Angestellten in Vermittlerunternehmen aus. Dazu kommen einige Angestellte bei Verbänden und Einrichtungen, Kassenärztlichen Vereinigungen und der Beihilfe. Außerdem könnten rund 10.000 Vermittler ihre Existenz verlieren, vor allem wenn sie bei Krankenversicherungs-dominierten Konzernen tätig sind.
Paquet berücksichtigt in seiner Rechnung keine weiteren Effekte wie einen starken Anstieg der Verwaltungskostenquote in den verbleibenden Konzernen, was Prämienanstiege und weiteren Arbeitsplatzabbau nach sich ziehen dürfte. Er erwähnt zwar, dass Zusatzversicherungen tendenziell durch Vollversicherungen intern subventioniert werden, weil ihr Bearbeitungsaufwand relativ zur Prämienhöhe weitaus höher ist. Er diskutiert dabei aber nicht die Frage, ob Anbieter diese dann überhaupt oder zu den bisherigen Prämien weiter anbieten werden. Auch bei Vermittlern dürfte es nicht nur um den Verlust besonders krankenversicherungsabhängiger Existenzen gehen, sondern viele weitere Vermittler werden relevante Umsatzeinbußen erleiden und müssen in der Folge mit Arbeitsplatzabbau oder im schlimmsten Fall Geschäftsaufgabe reagieren.
Sehr unterschiedliche Geschwindigkeit der Wirkungen
Wie schnell der Arbeitsplatzverlust erfolgt, hängt laut Paquet davon ab, welches Konzept des Transfers verfolgt wird. Das Modell einer sofortigen Überführung der PKV geht dabei viel weiter als dasjenige einer dauerhaften Erhaltung zweier Systeme, selbst wenn die PKV keine Neuzugänge mehr erhält und allmählich ausläuft. Dann wären zunächst rund die Hälfte der PKV-Mitarbeiter betroffen, deren Arbeitsplätze nach Paquets Schätzungen vertriebsnah sind, während zum Beispiel Leistungs- und Verwaltungsmitarbeiter noch so lange weiter benötigt werden, bis entweder die Vollversicherten die PKV verlassen haben oder die Versicherer ihre Bestände auf die Insolvenzsicherungseinrichtung übergeben müssen, was Paquet als mögliche Konsequenz darstellt.
In jedem Fall wird der Transfer erhebliche Zusatzbelastungen auslösen. Sollten PKV-Mitarbeiter übernommen werden, müssen sie aufwändig umgeschult werden. Der Gesetzgeber trägt zudem eine Verantwortung gegenüber den verbleibenden Versicherten, vor allem gegenüber den rund 50 Prozent Beamten. Der Staat sollte laut Paquet mit gutem Beispiel vorangehen, die Beihilfestellen auflösen und Arbeitgeberzuschüsse zahlen - zu nicht unerheblichen Mehrkosten. An anderer Stelle erwähnt er allerdings auch, "in vielen größeren Kassen ist immer noch ein hohes Rationalisierungspotential vorhanden", zieht daraus aber keine weiteren Schlüsse für die Effektivität des Gesamtmodells Bürgerversicherung.
Nach Paquets Ansicht sollten die Gewerkschaften "die Ergebnisse der Diskussion für die Definition und Durchsetzung ihrer Interessen aufgreifen und nutzen". Nach seinen Vorstellungen sollte sich ein Transfer über mehrere Jahrzehnte vollziehen. Begleitet werden sollte er allerdings durch Maßnahmen, schrittweise die PKV unattraktiver zu machen. So schlägt er unter anderem "weitere Restriktionen der Versicherungsvermittlung durch engere Grenzen der Provisionen, weiter erhöhte Haftung für Tarifwechsel etc.", gesetzliche Maßnahmen gegen Billigtarife und zur Aufstockung der Vollversicherung auf GKV-Standard vor.
Konzepte nicht zu Ende gedacht
Darin hat er die nach einer ersten Vorabversion publik gewordene Zahl von 100.000 gefährdeten Arbeitsplätzen um rund ein Viertel reduziert. Dennoch hat es das Papier in sich. Sein Fazit zu den Ideen von SPD, Grünen, Linkspartei und DGB zur Bürgerversicherung: "Dabei fehlt in allen Konzepten ein ausgearbeitetes "Transformationskonzept" vom Status Quo zum angestrebten Modell."
Dabei gibt es nicht das eine Modell Bürgerversicherung, macht Paquet deutlich. Vielmehr haben die vier untersuchten Konzepte im Detail unterschiedliche Ansätze. Ein für die Wirkung auf die Arbeitsplätze wichtiger Unterschied liegt in den Vorstellungen über eine Überführung der Vollversicherung.
Linkspartei und DGB verlangen eine Übernahme der betroffenen PKV-Beschäftigten in die GKV, was Paquet aber anhand eines detaillierten Vergleichs der jeweiligen Prozesse als unrealistisch zurückweist. Erstens gebe es kaum direkt vergleichbare Arbeitsanforderungen, zweitens eine völlig unterschiedliche Mentalität, drittens unterschiedliche Gehalts- und Ausbildungsgefüge und viertens auch gar keinen erkennbaren Bedarf der GKV, so kann man die Einwände Paquets gegen das Übernahmemodell zusammenfassen.
Zusatzversicherung darf die PKV gar nicht retten
Bei SPD und Grünen sieht das Bürgerversicherungskonzept die Möglichkeit vor, dass die PKV im Wesentlichen für Bestandskunden offen bleibt. Die Grünen können sich auch ein Angebot eines Bürgerversicherungs-Tarifs durch private Anbieter vorstellen. Doch auch mit diesen Ideen setzt Paquet sich kritisch auseinander. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass es nicht sinnvoll ist, eine Bürgerversicherung einzuführen, gleichzeitig aber ausreichend attraktive Rahmenbedingungen und Anreize für einen Verbleib oder gar Wechsel in die PKV zu erhalten. Vielmehr ist damit zu rechnen, dass der Verbleib denkbar unattraktiv gestaltet wird.
Die letzte große Hoffnung könnte eine Ausweitung des Zusatzversicherungsgeschäfts sein. Allerdings macht es nur einen kleinen Teil der Prämien aus und wächst langsamer als die Vollversicherung. Die politischen Konzepte gehen nach Paquets Analyse alle gerade nicht in Richtung einer Ausweitung des Handlungsspielraums für private Zusatzversicherungen, im Gegenteil. Vielmehr sollen die Leistungen der Bürgerversicherung eher gegenüber der GKV wieder ausgedehnt werden. Es wäre zudem ein offener Widerspruch, einerseits einer einheitlichen Versorgung aller Bürger das Wort zu reden und gleichzeitig eine differenzierte, freiwillige Zusatzversorgung mit Zwei-Klassen-Charakter" zu fördern.
"Was Arbeitsplätze in der PKV erhält, mindert die Attraktivität der Bürgerversicherung und umgekehrt; was die Bürgerversicherung attraktiv macht, kostet Arbeitsplätze in der PKV", resümiert Paquet.
Wer alles um seinen Job bangen muss
Bei seiner spektakulären Schätzung der betroffenen Arbeitsplätze geht Paquet vor allem von 50.000 Angestellten in Versicherungsunternehmen und 17.000 Angestellten in Vermittlerunternehmen aus. Dazu kommen einige Angestellte bei Verbänden und Einrichtungen, Kassenärztlichen Vereinigungen und der Beihilfe. Außerdem könnten rund 10.000 Vermittler ihre Existenz verlieren, vor allem wenn sie bei Krankenversicherungs-dominierten Konzernen tätig sind.
Paquet berücksichtigt in seiner Rechnung keine weiteren Effekte wie einen starken Anstieg der Verwaltungskostenquote in den verbleibenden Konzernen, was Prämienanstiege und weiteren Arbeitsplatzabbau nach sich ziehen dürfte. Er erwähnt zwar, dass Zusatzversicherungen tendenziell durch Vollversicherungen intern subventioniert werden, weil ihr Bearbeitungsaufwand relativ zur Prämienhöhe weitaus höher ist. Er diskutiert dabei aber nicht die Frage, ob Anbieter diese dann überhaupt oder zu den bisherigen Prämien weiter anbieten werden. Auch bei Vermittlern dürfte es nicht nur um den Verlust besonders krankenversicherungsabhängiger Existenzen gehen, sondern viele weitere Vermittler werden relevante Umsatzeinbußen erleiden und müssen in der Folge mit Arbeitsplatzabbau oder im schlimmsten Fall Geschäftsaufgabe reagieren.
Sehr unterschiedliche Geschwindigkeit der Wirkungen
Wie schnell der Arbeitsplatzverlust erfolgt, hängt laut Paquet davon ab, welches Konzept des Transfers verfolgt wird. Das Modell einer sofortigen Überführung der PKV geht dabei viel weiter als dasjenige einer dauerhaften Erhaltung zweier Systeme, selbst wenn die PKV keine Neuzugänge mehr erhält und allmählich ausläuft. Dann wären zunächst rund die Hälfte der PKV-Mitarbeiter betroffen, deren Arbeitsplätze nach Paquets Schätzungen vertriebsnah sind, während zum Beispiel Leistungs- und Verwaltungsmitarbeiter noch so lange weiter benötigt werden, bis entweder die Vollversicherten die PKV verlassen haben oder die Versicherer ihre Bestände auf die Insolvenzsicherungseinrichtung übergeben müssen, was Paquet als mögliche Konsequenz darstellt.
In jedem Fall wird der Transfer erhebliche Zusatzbelastungen auslösen. Sollten PKV-Mitarbeiter übernommen werden, müssen sie aufwändig umgeschult werden. Der Gesetzgeber trägt zudem eine Verantwortung gegenüber den verbleibenden Versicherten, vor allem gegenüber den rund 50 Prozent Beamten. Der Staat sollte laut Paquet mit gutem Beispiel vorangehen, die Beihilfestellen auflösen und Arbeitgeberzuschüsse zahlen - zu nicht unerheblichen Mehrkosten. An anderer Stelle erwähnt er allerdings auch, "in vielen größeren Kassen ist immer noch ein hohes Rationalisierungspotential vorhanden", zieht daraus aber keine weiteren Schlüsse für die Effektivität des Gesamtmodells Bürgerversicherung.
Nach Paquets Ansicht sollten die Gewerkschaften "die Ergebnisse der Diskussion für die Definition und Durchsetzung ihrer Interessen aufgreifen und nutzen". Nach seinen Vorstellungen sollte sich ein Transfer über mehrere Jahrzehnte vollziehen. Begleitet werden sollte er allerdings durch Maßnahmen, schrittweise die PKV unattraktiver zu machen. So schlägt er unter anderem "weitere Restriktionen der Versicherungsvermittlung durch engere Grenzen der Provisionen, weiter erhöhte Haftung für Tarifwechsel etc.", gesetzliche Maßnahmen gegen Billigtarife und zur Aufstockung der Vollversicherung auf GKV-Standard vor.
Autor(en): Matthias Beenken