Nur wenige Themen sind so ein Dauerbrenner wie die Bürgerversicherung und spalten die Nation in vehemente Gegner und angriffslustige Befürworter. Jüngst kam es aber sogar zu eínem Lagerwechsel. Einige Hausärzte, einst Nein-Sager zur Bürgerversicherung, können sich nun zunehmend für das System erwärmen.
Ärzteverbände haben kürzlich vor den SPD-Plänen für eine Bürgerversicherung gewarnt und mit Praxisschließungen gedroht. "Ein Systemwechsel zur Bürgerversicherung könnte das Ende der Gesundheitsversorgung, wie wir sie alle kennen und schätzen, bedeuten", sagte der Vorsitzende des Spitzenverbandes der Fachärzte Deutschlands, Dirk Heinrich, gegenüber der "Bild am Sonntag".
Spitzenverband drohte mit Praxisschließungen
Der Dachorganisation gehören 28 ärztliche Berufsverbände an, die den Angaben zufolge insgesamt 100.000 Mediziner vertreten. Um ihrem Protest Ausdruck zu verleihen, Heinrich kündigte auch Aktionen der Ärzte an, um die Bürgerversicherung zu verhindern. "Dazu können auch Praxisschließungen gehören", betonte er.
Der Berufsverband der Nervenärzte befürchtet, bei einer Einheitsversicherung würden wohlhabende Patienten versuchen, über private Zusatzversicherungen oder auf eigene Rechnung schneller an Termine zu kommen. Das sei dann tatsächlich eine Zwei-Klassen-Medizin, fügte die Verbandsvertreterin Sabine Köhler hinzu.
Der Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, Thomas Fischbach, hob die Rolle des Wettbewerbes zwischen den Kassen hervor: "Viele von unserem Verband entwickelte neue Vorsorgen wurden zunächst nur vor den privaten Krankenkassen erstattet." Erst dann hätten gesetzliche Kassen nachgezogen.
Erkennen auch positive Seiten eines neues Systems
Anders aber die Position des Hausarztverbandes. „Wir, die deutschen Hausärzte, sind nicht ideologisch gegen eine Bürgerversicherung“, sagt der Verbandsvorsitzende Ulrich Weigeldt. „Ganz im Gegenteil: Ich kann der Grundidee eines Versicherungssystems für alle Bürger durchaus positive Seiten abgewinnen.“ Naiv seien die Hausärzte bei dem Thema aber auch nicht, fügte er hinzu. Diese Position ist relativ neu, früher waren die Hausärzte der Einstellung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) gefolgt.
„Es kommt am Ende sehr auf die Ausgestaltung an, ob eine Bürgerversicherung den Patienten unter dem Strich Verbesserungen bringt“, so Weigeldt. Dies gelte auch für die Frage der Sicherstellung einer guten ambulanten Versorgung. Die setzte zweifellos eine angemessene Vergütung der Hausärzte und Fachärzte, aber auch der Physiotherapeuten und anderen freien Gesundheitsberufen wie etwa der Hebammen voraus. Hier müsse die Bezahlung auch in Zukunft auskömmlich sein. „Wir als Hausärzte bieten daher an, bei der konkreten Ausgestaltung einer Bürgerversicherung, sollte es dazu kommen, konstruktiv mitzuarbeiten.“
Ungleiche Lastenverteilung angeprangert
Ein absoluter Verfechter der Bürgerversicherung ist dagegen der ehemalige Sozialricher Jürgen Borchert. Der streitbare Richter wurde dadurch bekannt, dass er dem Bundesverfassungsgericht zwei wegweisende Urteile zur Renten- und Pflegeversicherung abgerungen hat. Das Trümmerfrauenurteil von 1992 und das Pflegeurteil 2001 führten dazu, dass Kindererziehung bei der Rente angerechnet wird und Eltern einen niedrigeren Pflegebeitrag zahlen als Kinderlose. Zuletzt trug Borchert maßgeblich dazu bei, dass das Bundesverfassungsgericht 2010 die Hartz-IV-Regelsätze kippte.
Der frühere hessische Sozialrichter Jürgen Borchert plädiert dahingegen im August 2013 für die Einführung einer Bürgerversicherung, um die ungerechte Lastenverteilung im deutschen Sozialsystem zu beseitigen. Borchert sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), "wir haben die Arbeitnehmer zum Lastesel des Sozialstaats gemacht. Aus dieser Finanzierung müssen wir raus." Sie führe zur Verarmung der kleinen Leute und massiven Benachteiligung von Familien mit Kindern.
Falsche Versteuerung von Kapitaleinkünften
Das heutige System, wonach etwa zehn Prozent der Bevölkerung privat versichert sind und auf Arbeitnehmer-Einkommen nur bis zu einer Obergrenze Beiträge erhoben werden, benachteilige die kleinen Leute massiv, sagte Borchert. Die "asozialen Beitragsbemessungsgrenzen" in den Sozialversicherungen müssten abgeschafft werden. Sie führten dazu, dass die höchsten Einkommen - relativ gesehen - am geringsten belastet werden. "Es ist doch ein Irrsinn", sagte Borchert, "dass die zehn Prozent der Einkommensstärksten in diesem Land sich gerade mal zu zehn Prozent an den öffentlichen Lasten beteiligen".
Jeder normale Arbeitnehmer habe zusammengenommen fast 50 Prozent Abzüge von seinem Einkommen. Kapitaleinkünfte seien dagegen nur mit 25 Prozent zu versteuern und frei von Sozialbeiträgen, kritisierte Borchert: "Lebendige Arbeit wird doppelt so hart herangezogen wie Kapitaleinkünfte. Wo leben wir denn eigentlich?"
Quellen: Handelsblatt, evangelisch.de
Autor(en): Versicherungsmagazin