Allen Unkenrufen und Kritikern zum Trotz steht die Lebensversicherung in Deutschland nicht vor dem Aus. Die Lebensversicherung habe sich im zweiten Corona-Jahr stabil entwickelt, so Wolfgang Weiler, Präsident des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Und doch fordert die anhaltende Nullzinsphase ihren Tribut: Das frühere Brot-und-Butter-Geschäft, die klassische Lebensversicherung, existiert nur noch als Ballast in den Büchern der Versicherer.
Keine Frage: Das Niedrigzinsumfeld setzt die deutschen Lebensversicherer weiter unter Druck - seit 1. Januar dieses Jahres liegt der Höchstrechnungszins nur noch bei 0,25 Prozent. Auch in diesem Jahr haben alle Gesellschaften ihre Überschussbeteiligungen unverändert gelassen oder gesenkt. Kein Wunder, dass die meisten der rund 80 Lebensversicherer in Deutschland im Neugeschäft keine klassischen Policen mit lebenslangem Garantiezins mehr anbieten, weil es immer schwieriger ist, die Garantien zu erwirtschaften.
Überraschendes Plus bei Riester-Renten
Aber die Versicherer haben reagiert und bieten ihren Kunden vermehrt Fondspolicen an. Diese kapitalmarktorientierten Produkte haben im Neugeschäft mit Rentenversicherungen inzwischen einen Anteil von fast 60 Prozent. Zudem besteht gut ein Drittel der Beitragseinnahmen von rund 102 Milliarden Euro der Lebensversicherer aus Einmalbeitragsgeschäft (36,5 Milliarden Euro).
Und zur Überraschung vieler Marktbeobachter verkündete der GDV-Chef bei den Riester-Renten ein deutliches Plus von zwölf Prozent auf 310.500 neue Verträge. Der Bestand blieb weitgehend stabil bei rund 10,4 Millionen Verträgen. Klar ist aber: Hier ist die neue Bundesregierung in der Pflicht. Nichtstun bedeutet das Aus für die Riester-Rente. Viele Anbieter sind schon ausgestiegen, da die 100-Prozent-Garantie nicht mehr darstellbar ist. Übrigens gilt das auch für die Beitragszusage mit Mindestleistung in der betrieblichen Altersversorgung.
Erfolgsmodell Basisrente
Die Basisrente wird immer stärker zu einem Erfolgsmodell der Lebensversicherer. Bei den Basisrenten stieg die Zahl neu vermittelter Policen sogar um fast 40 Prozent auf knapp 119.000 Verträge. Der Gesamtbestand erhöhte sich dadurch um vier Prozent auf 2,5 Millionen Verträge. Weiter gefördert wird der Trend durch die Politik. Die Ampel-Koalition will nun schon ab 2023 und nicht wie geplant ab 2025 diesen Anteil auf 100 Prozent erhöhen. Gleichzeitig wird der Termin, ab dem die Rentenzahlungen voll besteuert werden müssen, von 2040 auf 2060 nach hinten geschoben. Bedauerlich dagegen ist, dass von der im Koalitionsvertrag geplante Altersvorsorgepflicht nur die neu in den Markt tretenden Selbstständigen betroffen sind und eine Übergangsfrist für diese Pflicht von zwei Jahren dafür gilt.
Altlasten der Versicherer
Problematisch für einige Lebensversicherer bleiben die Altverträge mit den hohen Garantien in ihrem Bestand. Laut einer aktuellen Analyse der Zahl & Recht GmbH konnten im vergangenen Jahr 33 von 81 Lebensversicherern nicht mehr genug Rendite am Kapitalmarkt erzielen, als für die Garantieversprechen an die Kunden notwendig gewesen wäre. Die unabhängige Versicherungsberatungsgesellschaft mit Sitz in Vechta glaubt, dass den betroffenen Versicherern bis zum Ende des Geschäftsjahres 2020 insgesamt eine gute Milliarde Euro fehlt, um die Rechnungszinsverpflichtungen erfüllen zu können. Auch Policen Direkt hat erneut die Finanzkraft der deutschen Lebensversicherer analysiert. Ergebnis: 33 Versicherer (neun mehr als im Jahr davor) müssen die Mittel für die Garantien in ihren Verträgen sowie der gesetzlich vorgeschriebenen Zinszusatzreserve aus anderen Töpfen als aus den Kapitalgewinnen entnehmen. Dazu zählen etwa Einnahmen aus der Risikoabsicherung und der Verwaltung.
Keine Insolvenzen erwartet
Offenbar gibt es eine Spreizung bei den Anbietern im Markt. Über alle Versicherer reiche das Ertragsvolumen der Branche im Extremfall aber aus, um die Rechnungszins-Anforderungen im Geschäftsjahr 2020 mehr als fünf Mal zu finanzieren, hat die Ratingagentur Assekurata errechnet. Behauptungen, dass ein Viertel der Gesellschaften angezählt sei und einige Versicherer die nächsten Jahre nicht überleben würden, könne er nicht teilen, so Assekurata-Experte Lars Heermann. Weiter erläutert er: "Kurzfristig erwarten wir keine Insolvenzen, weil die Unternehmen ihre Zinszusatzreserve nicht stellen oder ihre Solvenzquote nicht erfüllen können. Die Herausforderungen sind eher längerfristig."
Und Frank Grund, Exekutivdirektor bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, ergänzt: "Bei den Lebensversicherern gehen wir - Stand jetzt - davon aus, dass alle Unternehmen ihre vertraglich versprochenen Leistungen erfüllen können. Bei den Pensionskassen würde ich das nicht so sagen." Dem ist nichts hinzuzufügen.
Autor(en): Bernhard Rudolf